Sonntag, 31. Oktober 2010

53. Freud und Leid

Freud und Leid liegen oft nahe beieinander. Heute haben mich
Nachrichten von zuhause erreicht. Gute und schlechte. Die freudige
Nachricht: Ein 70-jähriger Witwer aus unserem Freundeskreis hat eine
neue Lebenspartnerin gefunden. Ich gönne es ihm von Herzen. Die
schlechten Botschaften, auch von heute: Ein guter Freund, der mit mir
auf dem Jakobsweg war, ist in eine schwere psychische Krise gestürzt
und mein Schwager liegt mit einer Hinblutung auf der Intensivstation.
Zum Glück sind Gedanken und Gefühle, positive und negative, sehr
wechselhaft, flüchtig und verändern sich in der Regel in kuzer Zeit.
Also tun wir gut daran, unsere guten und schlechten Gedanken
wahrzunehmen und Mitgefühl zu entwickeln, aber sie nicht all zu
wichtig zu nehmen. Todo se pasa (Alles geht vorüber) hat die heilige
Teresa von Avila kurz und bündig zu diesem Thema gesagt.
(notiert in der Herberge von Bercianos)

Samstag, 30. Oktober 2010

52. Nochmals Regen und viel Wind

Von Carrión de los Condes bis Calzadilla de la Cueza sind es 17 km.
Die Kiesstrasse, die diese beiden Orte verbindet, ist schnurgerade.
Vier Stunden bei Regen und festem Wind diese Strecke zurück zu legen,
ist auch für einen angefressenen Pilger kein Vergnügen, sondern
mühsame Arbeit. Das sind diese Durststrecken auf dem Camio, die
niemanden erspart bleiben. Jetzt, wo ich in der geheizten Beiz in
Terradillos de los Templarios sitze, bin ich erleichtert, diese Etappe
heil und ganz überstanden zu haben. Der Camino ist eben kein
Spaziergang, sondern ab und zu auch ein Leidensweg. Wahrscheinlich
gibt es keine tiefen Glücksgefühle ohne dass man auch gelitten hat.
Auf dem Camino ist beides nahe beieinander, aber die Glücksgefühle
sind bei mir wesentlich häufiger.

Freitag, 29. Oktober 2010

51. Regen in Carrion de los Condes

Eigentlich wollte ich heute etwas vom schlechten Wetter und den
leidenden Pilgern schreiben, aber die drei Augustinerschwestern haben
in der Herberge eine so eindrückliche Andacht gehalten, dass ich
lieber hier den Text wiedergebe, der im Zentrum der kurzen Andacht
stand:
Niemand ging gestern,
Niemand geht heute,
Niemand wird morgen
gehen zu Gott
auf demselben Weg,
den ich gehe.
Gott hat immer für jeden
Menschen einen neuen
Sonnenstrahl
und einen neuen Weg.
(León Felipe)
Am Schluss der Andacht, segnete die Oberin jeden Pilger. Sie machte
jedem und jeder ein Kreuz auf die Stirne und legte ihm/ihr die Hände
auf den Kopf. Für mich ein schönes Beispiel, wie in einer offenen Art
glaubwürdig christliches Zeugnis abgelegt werden kann, ohne
missionarisch zu wirken.

Donnerstag, 28. Oktober 2010

50. Boadilla del Camino

Manchmal werde ich gefragt: "Was bringt's dir, immer wieder auf den
Camino zu gehen?" Ich könnte darauf auf verschiedenen Ebenen eine je
andere Antwort geben. Für diesen sehr langen Camino drängt sich mir
vor allem eine Antwort auf: "Ich habe dieses Jahr auf dem Camino
wieder gehen gelernt." Das ist für mich ein grosses Geschenk, das sich
nicht einfach so ergeben hat. Ich musste dafür hart trainieren. Darum
habe ich auch das Gefühl, dieses Geschenk verdient zu haben. Heute
kann ich wieder -wenn es sein muss oder ich Lust habe - grosse
Distanzen schnell, locker und ohne zu hinken, zurücklegen. Das
erfüllt mich mit grosser Freude. Eine Selbstverständlichkeit ist es
nicht. Heute war so ein Tag, wo ich aus purer Lust einen grossen Teil
der Etappe sehr zügig zurückgelegt habe. Ich bin denn auch als einer
der ersten im Refugio von Boadilla angekommen. Fast so wie früher.

Mittwoch, 27. Oktober 2010

49. Durch die Meseta nach Hontanas

Der Entscheid war richtig. Ich habe die Meseta mit allen Sinnen
genossen. Die Hochebene ist in dieser Jahreszeit und bei diesem klaren
Wetter besonders eindrücklich. Ich glaube, dass ich die Mitpilger
vermisst hätte, wenn ich mit dem Bus "ausgeschert" wäre. Die
Vertrautheit der Pilger untereinander nimmt von Tag zu Tag zu. Ab
Burgos haben alle Pilger nur noch ein Ziel: Santiago. So schön!

Dienstag, 26. Oktober 2010

48. BURGOS

Eigentlich wollte ich morgen nach Santo Domingo de Silos fahren, aber
es ist zu weit weg und mit dem öV fast nicht zu erreichen. Dann wollte
ich zwischen Burgos und Léon den Bus nehmen, aber ich schaffe es
nicht. Ich habe ein ungutes Gefühl dabei, denn es gibt eigentlich
keinen trifftigen Grund dies zu tun. Ich glaube, es ist besser, den
Weg zusammen mit den andern Pilgern zu Ende zu gehen. Einen Ruhetag
einschalten mag ich auch nicht. Die wesentlichen Dinge von Burgos
kenne ich. Den Pilger zieht es weiter. Er hat keine Bleibe.

Montag, 25. Oktober 2010

47. Von den Mitpilgern

Es sind mehr Leute in dieser Jahreszeit unterwegs als ich gedacht
habe. Man findet aber problemlos Platz in den Herbergen. In Acés, wo
ich heute übernachte, gibt es 4 Pilgerherbergen, die sich gegenseitig
konkurrenzieren. Obwohl ich immer alleine pilgere und auch sonst nicht
sehr kontakthungrig bin, kennt man mit der Zeit viele der Mitpilger/
innen. Da ist der frisch pensionierte Ingenieuragronom aus Belgien,
der ungefähr schon gleich lang wie ich unterwegs ist... oder der 60-
jährige Deutsche, der seit 4 Jahren (!) auf dem Camino lebt. Im Sommer
arbeitet er als Hospitalero, den Rest des Jahres ist er auf dem Weg,
im Moment mit einer 25-jährigen Japanerin.... oder die Familie aus
Südkorea, für die der Camino eine permanente Überfoderung
bedeutet... oder der 31-jährige aus Ungarn, der mit zwei
Freitagstaschen locker und schnell läuft...oder der arbeitslose
Portugiese, der ohne Geld unterwegs ist und hofft, vielleicht auf dem
Camino eine Arbeit finden zu können... oder Beni, der Amerikaner mit
der Leichtgewichtsausrüstung,den ich seit Montpellier alle paar Tage
wieder zufällig treffe... All diese und weitere Mitpilger wachsen
einem ans Herzen. Der gemeinsame Weg ist viel verbindender als ich
selber manchmal wahrhaben will.

Sonntag, 24. Oktober 2010

46. Müde

Den ganzen Tag gegen heftigen Wind zu laufen, ermüdet. An einem
kleinen Ort vor Villafranca Montes de Oca eine kleine Herberge mit
gutem Essen gefunden. Es ist zwar erst 21.10 Uhr, aber ich gehe jetzt
gerne schlafen. Gute Nacht!

45. Das Hospital San Juan Batista in Grañón

Grañón ist ein kleines Dorf, das ca. 6 km nach Santo Domingo de la
Calzada liegt. Die Herberge befindet sich in der Kirche, in den
angebauten Räumen der Pfarrei. Für die Halbpension wird kein fixer
Preis verlangt. Das Donativoprinzip (freiwillige Spende) wurde hier
sogar noch erweitert. Auf der Innenseite des Deckels der immer offenen
Geldschachtel steht: "Gib was du kannst oder nimm was du brauchst".
Das Ganze scheint bestens zu funktionieren. Der Pfarrer isst abends
immer mit den Pilgern. Es ist eine der wenigen Herbergen, die das
ganze Jahr offen ist. Ein Erlebnis hier sein zu dürfen! Die
Atmosphäre in den alten Mauern ist sehr speziell. Die beiden
Hospitaleras haben nach Nachtessen eine Andacht in der Kirche
angeboten, die von allen Pilgern mitgefeiert wurde. Das Vaterunser
haben wir gleichzeitig in mindestens sechs verschiedenen Sprachen
gebetet. Das sind unvergessliche Momente.

Freitag, 22. Oktober 2010

44. Mit Zwischenhalten nach Nájera

Eine alte Binsenweisheit der Pilger lautet: Jeder hat seinen eigenen
Weg und Rhythmus. Ich gehe in der Regel langsam und mache in jeder
Etappe drei bis vier längere Zwischenhalte. Diese Pausen sind für
mich wichtig und meistens geniesse ich diese sehr. In der freien Natur
an einem schönen Platz zu rasten und etwas Feines zu essen, sind das
Tüpflein auf dem i beim Pilgern. Unerfahrene Pilger machen meist zu
wenige und zu kurze Pausen, weil sie zeitig die Tagesetappe hinter
sich bringen möchten. Zwischenhalte oder Pausen sind keine verlorene
Zeit. Sie sind psychohygieniche Inseln, die man pflegen sollte. Im
Alltag vergesse ich häufig, Pausen zu machen. Eigentlich schade.
Vielleicht ändere ich das in Zukunft. Es würde sich lohnen.

Donnerstag, 21. Oktober 2010

43. In der Hauptstadt von Rioja

Erstaunt hat mich heute, dass die Ernte der typischen Riojatrauben
erst richtig beginnt. Zum Glück für mich. Noch einmal konnte ich mich
von den Früchten der Erde satt essen. Was hat mir die Natur während
meines Weges nicht alles geschenkt! Äpfel, Birnen, Nektarinen, Feigen
und Nüsse. Eigentlich ist alles ein Geschenk. Der Weg, die Menschen,
die für mich da sind... Ja, das ganze Leben ist ein grosses Geschenk.
Dies zu wissen, zu schätzen und dafür dankbar sein, ist für mich
wichtig.
Nachtrag: Kurzbesuch in 6 Restaurants, 8 Tapas gegessen und ebenso
viele Copas de vino getrunken. Es la vida español.

Mittwoch, 20. Oktober 2010

42. Pilgersegen in Los Arcos

Es ist kühl geworden. Das Leben in den Dörfern ist kaum mehr
spürbar. Gut, dass es wenigstens geheizte Bars gibt, wo man ein oder
zwei Gläser Wein trinken kann. Ich warte bis es acht Uhr ist und ich
den Pilgergottesdienst besuchen kann. Gestern hat der Priester in
Estella die Messe schnell und ohne innere Betiligung hinter sich
gebracht. Es löschte mir ab. So muss man nicht erstaunt sein, wenn
immer weniger Leute in die Kirche gehen. Bin gespannt, wie es heute
ist. Zwei Stunden später. Ganz anders der Gottesdienst in der überaus
üppig mit Gold ausgestatteten Barockkirche in Los Arcos. Der Priester
feierte in Andacht die Messe und gestaltete den Pilgersegen
persönlich. Jeden einzelnen Pilger fragte er nach seinem Wohnort,
sagte ein paar Worte zu ihm, drückte ihm die Hand und gab ihm ein Bild
von Santiago inkl. Pilgergebet mit auf den weiteren Weg.
Auch in der Kirche gibt es halt gute und weniger gute Priester. Ich
nehme mir zuhause das Recht heraus, jene (wenigen) Kirchen
aufzusuchen, wo ich mich aufgehoben fühle. Auf meiner Pilgerreise kann
ich das leider nicht.

Dienstag, 19. Oktober 2010

41. Auf bekannten Wegen nach Estella

Ich sitze alleine in der Bar am Plaza major in Estella. Es ist die
Bar, in der ich vor bald 20 Jahren - im Mai 1991- gesessen habe.
Seither habe ich den Camino francés drei weitere Male gemacht. Eine
stille Wehmut überkommt mich. Wie war doch damals alles anders! Ein
Refugio, das diesen Namen verdient hätte, gab es damals noch nicht.
Ich übernachtete wie ein Verstossener auf dem Boden eines
leerstehenden Hauses ausserhalb der Stadt. Heute gibt es in der Stadt
mindestens vier Anbieter von Pilgerherbergen. Ich habe die Albergue
parroquial ausgwählt, die von einem herzensguten Hospitalero aus
Madrid 14 Tage lang betreut wird. Um 19 Uhr findet eine Pilgermesse
statt und anschliessend gibt's in der Herberge Znacht. Auch ein
Frühstück wird es geben und das alles auf der Basis von Donativo
(freiwillige Gabe). Das sind wahrlich andere, "bessere" Zeiten.
Besonders schön finde ich, dass die Kirche sich heute den Pilgern
annimmt. Und doch denke ich immer wieder ans erste Mal zurück. Es war
diese erste Pilgerreise im 1991, die in mir etwas zum Klingen gebracht
hat, das nie mehr verstummt. Ein wunderbarer Klang.

Montag, 18. Oktober 2010

40. Alleine in Puente la Reina

Nun habe ich die Via Tolosana beendet. Mit Louis und Axel habe ich zum
Abschluss üppig gegessen und getrunken. Jetzt sind die beiden
Franzosen aus Paris mit dem Bus nach Pamplona gefahren. Auch Françine
und Michel fahren nach Hause. Ich sitze alleine in der Beiz und
schlürfe den Rest des Weines hinunter. Gerard, der fünfte Compagnon,
kehrt nach Lion zurück. Mein Weg geht alleine weiter. Wir hatten eine
sehr gute und schöne Zeit miteinander. Der Abschied ist allen schwer
gefallen. Vielleicht kommen Axel und Louis nächstes Jahr in die
Schweiz. In der Pilgerherberge von Puente la Reina sind lauter
unbekannte Leute, die von St. Jean-Pied-de-Port her gekommen sind. Mit
ihnen habe ich (noch?) nichts am Hut und fühle mich hier fehl am
Platz. So schnell ändert sich alles. Ich muss mich zuerst neu finden,
obwohl ich weiss, dass ich morgen nach Estella laufe. Ich bin traurig.
Jetzt aber muss ich ein paar warme Handschuhe kaufen. Es ist merklich
kälter geworden. Man rät mir ab, an die Nordküste zu gehen. On verra.

Sonntag, 17. Oktober 2010

39. Grosse Weiten

Die Ernte ist längst verarbeitet. Die Bauern bereiten den Boden für
die nächste Saison vor. Den ganzen Tag fahren sie mit ihren Traktoren
über die Felder. Zuerst pflügen sie den Boden, dann verkleinern sie
die Erde. Beim dritten Durchgang wird gesät und anschliessend wird der
Boden gewalzt, damit die Saat im Frühjahr aufgehen kann. All diese
Arbeiten konnte ich in den letzten Tagen stundenlang beobachten. Der
Jakobsweg in Navarra führt mitten, manchmal am Rande dieser riesigen
Kornfelder vorbei. Jetzt im Herbst sieht die hügelige Landschaft nicht
so farbenprächtig wie im Frühjahr aus, aber sie wirkt herausgeputzt
und aufgeräumt. Im Hintergrund erkennt man Pamplona. Wahrscheinlich
ist Navarra die Kornkammer Spaniens. Ich liebe diese Landschaft, vor
allem ihre Weite und ich bin mir einmal mehr bewusst, dass ich ein
privilegierter Pilger bin, der einfach so diese Landschaft geniessen
darf.

38. Gegenwind bis Izco

Der Wind bläst heute stark und kalt
Von allen Seiten greift er an
Oft kommt er von vorne
Ich kämpfe gegen ihn
stundenlang und mit aller Kraft.
Dann erinnere ich mich:
Meistens hatte ich in meinem Leben Rückenwind und versöhne mich.

Freitag, 15. Oktober 2010

37. Sangüesa in Navarra

Die letzten Etappen waren landschftlich sehr eindrücklich. Heute habe
ich Aragon verlassen. Beim Betreten von Navarra: grosse Kornfelder so
weit das Auge reicht. Sie haben mich fest an die Landschaft vor Los
Arcos auf dem Camino francés erinnert. Hätte nicht den ganzen Tag ein
starker Wind geblasen, wäre alles perfekt gewesen. Manchmal braucht es
halt nicht viel bis des Pilgers Seele leidet oder ein wenig gekränkt
ist.
Seit Jaca bin ich mit sechs ganz unterschiedlichen Mitpilgern
unterwegs. Da bildet sich rasch so etwas wie eine kleine Familie, wo
man füreinander da ist. Alle - ausser ich - werden in drei Tagen in
Puente La Reina ihren Weg auf der Via tolosana beenden. Im Moment habe
ich vielleicht auch darum keine grosse Lust, den Camino francés ein
weiteres Mal zu machen. Sicher ist ein Ruhetag im Hotel angesagt und
nachher werde ich einen hoffentlich klugen Entscheid fällen.

Donnerstag, 14. Oktober 2010

36. In Ruesta auf der Terasse

Gestern hat uns die Hospitalera aus Mailand einen schönen Text
verteilt, den ich hier festhalten will:
Eines Nachts hatte ich einen Traum:
Ich ging am Meer entlang mit meinem Herrn.
Vor dem dunklen Nachthimmel erstrahlten,
Streiflichtern gleich, Bilder aus meinem Leben.
Und jedes Mal sah ich zwei Fussspuren im Sand,
meine eigenen und die meines Herrn.

Als das letzte Bild an meinen Augen vorübergezogen war,
blickte ich zurück. Ich erschrak, als ich entdeckte, dass an vielen
Stellen meines Lebensweges
nur eine Spur zu sehen war.
Und das waren gerade die schwersten Zeiten meines Lebens.

Besorgt fragte ich den Herrn:
"Herr, als ich anfing dir nachzufolgen,
da hast du mir versprochen, auf allen Wegen bei mir zu sein.
Aber jetzt entdecke ich, dass in schwersten Zeiten
meines Lebens nur eine Spur im Sand zu sehen ist.
Warum hast du mich allein gelassen,
als ich dich am meistens brauchte?"

Da antwortete er:
"Mein liebes Kind, ich liebe dich
und werde dich nie allein lassen,
erst recht nicht in Nöten und Schwierigkeiten.
Dort, wo du nur eine Spur gesehen hast,
da habe ich dich getragen."
Margaret Fishback Powers

Mittwoch, 13. Oktober 2010

35. Der heilige Gral

Ich habe es mir heute nicht nehmen lassen, einen Abstecher ins
Felsenkloster St. Juan de la Peña zu machen. Dieses romanische Kloster
befindet sich hoch oben in den Bergen unter einem Felsvorsprung. In
vielen Geschichten und Legenden soll einst hier der heilige Gral
aufbewahrt worden sein. Noch heute wird in diesem Kloster eine Kopie
des Grals gezeigt. Das Original wurde - wie könnte es anders sein -
gestohlen. Die Menschheit wird noch lange nach ihm suchen. Auch ohne
den Grahl ist dieses Kloster eines der allerschönsten Kloster, das ich
je gesehen habe.
Arrès, der Ort, wo ich heute schlafen werde, ist ein kleines, hübsch
revitalisiertes Dorf (dank den Pilgern!) auf einem Hügel mit
prächtiger Aussicht in die Berge und auf die grossen Ebene des Vale de
Aragon. Wahrlich ein besonders schöner Tag!

Dienstag, 12. Oktober 2010

34. Als Schafhirte in Jaca angekommen

Heute hat mir das Pilgerleben wieder richtig gefallen. Ich bin gut und
lange gelaufen. Unvergesslich werden mir die letzten drei Stunden
bleiben. Eine grosse Schafherde wurde von der Alp auf dem Somport nach
Jaca zurückgebracht. Ich habe diese Schafe begleitet und nach kurzer
Zeit schon betätigte ich mich als veritabler Schafhirt und half mit
die ca. 50 Schafe zusammen zu halten. Erstaunlicherweise konnte ich in
diesen wenigen Stunden eine schöne Beziehung zu den Schafen und zur
Besitzerfamilie aufbauen. Drei Generationen kümmern sich um die Tiere.
Die Besitzerfamilie hatte grosse Freude, dass ein Pilger Anteil an
ihrem Leben nimmt. Beim Abschied sagte der Vater zu mir: "Adios
amigo". Etwas Schöneres hätte er mir nicht sagen können. (Es ist
spät. Die Lichter in der Herberge sind schon gelöscht.)

Montag, 11. Oktober 2010

33. Enttäuschung Somportpass

Eigentlich dachte ich schon, dass auf der französischen oder der
spanischen Seite ein Restaurant offen hat, aber alles liegt da oben
wie ausgestorben im Nebel. Das Refugio auf der spanischen Seite habe
ich nicht gefunden. Also kehrte ich um. Zum Glück war die Gîte auf
der französischen Seite offen. Ein weiterer, mir unbekannter Pilger
ist noch hier. Es braucht einige Zeit, bis man sich in einem
unbewohnten, kalten Haus einigermassen wohl fühlt. Man kann als Pilger
selten in ein gemachtes Nest schlüpfen. Manchmal ist mir das egal,
manchmal aber hätte ich es lieber anders. Zu essen gibt es natürlich
auch nichts Rechtes. Heute würde ich eine warme Mahlzeit sehr
schätzen. Aber, so ist es nun. Punkt.

Sonntag, 10. Oktober 2010

32. Sarrance - Accous

Regen, Nebel und Kälte. Ziemlich bald wurde mir klar, dass ich eine
kürzere Etappe machen werde. In Accous gibt es eine Niederlassung der
Premonstratenser. Dieser Orden ist mir von Conques her bekannt und
sympathisch. Darum benutzte ich die Gelegenheit, nach ca. 12 km bei
den Premonstratensern anzuklopfen. Ich hatte eine bestimmte
Vorstellung im Kopf, wie es in einem Minikloster etwa aussehen könnte,
resp. müsste. Es war ganz anders. Ich kam in ein unordentliches und
lieblos eingerichtetes Haus ohne Ambiance. Weil ich der einzige Gast
war, erhielt ich ein Einzelzimmer, auch ein schäbiges. Der Empfang des
einzigen Premonstratensermönches, der hier lebt, war sehr herzlich.
Den baskischen Priester, der auch hier lebt, habe ich nicht gesehen.
Der Dritte in dieser WG ist ein Gärtner, der für die beiden
geistlichen Herren und die Pilger mehr schlecht als recht kocht. In
der Vesper war ich allein mit dem Mönch. Vielleicht werde ich in der
Laudes auch der einzige Teilnehmer sein. Zuhinterst in diesem Tal
scheint das Missionieren ein schwieriges Pflaster zu sein. Der Mönch
meinte dazu: " Ich setze nur die Samen. Wann die Frucht aufgehen wird,
weiss nur der Herr." Er lebt hier seit 44 Jahren.

Samstag, 9. Oktober 2010

31. Oloron - Sarrance

Die meisten Freunde und Bekannten haben sich sehr kritisch geäussert
als ich ihnen sagte, ich würde während meiner Pilgerreise einen Blog
schreiben, aber niemand hat mich gefragt, wieso ich das mache. Jetzt -
nachdem ich bald zwei Monate unterwegs bin - kann ich sagen, dass das
tägliche Schreibenmüssen, eine sehr gute Übung für mich ist. Ich
kann nicht kneifen und muss mir täglich von Neuem überlegen, über
was ich berichten könnte, ohne dass ich mich wiederhole. Meine kurzen
Beiträge sind natürlich nur ein kleiner Ausschitt meiner Gedanken
und Erlebnisse eines Tages. Seit Arles habe ich immer als Titel die
Etappenorte angeben. Weil eh niemand weiss, wo, was ist, werde ich in
Spanien wieder Titel meinen Posts geben, die zum Inhalt passen. Das
wird ab übermorgen der Fall sein. Morgen beginnt der zweitägige
Aufstieg zum Sumportpass. Ich freue mich sehr auf diesen
geschichtsträchtigen Ort. Nachher bin ich in Spanien. Olé España !

Freitag, 8. Oktober 2010

30. Lescar - Orolons

Ein Engländer, ein Belgier, ein Ehepaar aus Italien und ich sind heute
in der Gîte. Wir waren schon gestern miteinander in der Gîte und es
ist bereits ein Vertrauensverhältnis untereinander entstanden. Heute
Abend hat der Italiener für uns alle gekocht und wir haben lange
gemeinsam gegessen, getrunken und diskutiert. Was an so einem Abend
unter eigentlich wildfremden Menschen geschieht, ist einmalig und
unvergesslich. Für mich ist das Communio im besten Sinn des Wortes.
Ich liebe diese Momente sehr, weil sie zeigen, was Gemeinschaft
bedeuten kann. Das gibt es so nur auf dem Camino! ( es ist zu spät um
mehr zu schreiben.)

Donnerstag, 7. Oktober 2010

29. Morlaás - Pau - Lescar

Heute war Sightseeing angesagt. Sowohl Morlaás und Lescar sind Vororte
von Pau. Mit dem Bus sind es nur 25 Minuten bis ins Zentrum von Pau
und von Pau nach Lescar ebenfalls. Der Abstecher in die Hauptstadt des
Béarn hat sich gelohnt. Pau ist das Tor zu den Pyrenäen und die
Geburtsstadt Henri des IV., den die Franzosen heute noch sehr
verehren. Er soll Frankreich zu einem richtigen Staat gemacht haben.
Die Stadt ist sehr gepflegt und sympathisch. Überhaupt sind im Béarn
praktisch alle Häuser in ausserordentlich guten Zustand, was ich von
den anderen Gegenden, die ich bis jetzt durchwandert habe, nicht sagen
könnte. Hier scheint es den Menschen wirklich gut zu gehen.
Morgen steht mir eine lange Etappe mit einigen Auf- und Abstiegen
bevor. Ich fühle mich gut in Form und freue mich, dass es morgen
weiter g e h t. Zuerst aber gibt's in der Gîte noch Pasta und Wein.

Mittwoch, 6. Oktober 2010

28. Anoye - Morlaàs

Es gibt Zeiten beim Pilgern - wie heute -, wo man vor lauter Freude,
Zufriedenheit und Glück den ganzen Tag singen und jauchzen könnte.
Ich bin dann eins mit mir und der Welt und erfüllt von einer tiefen
Dankbarkeit. Das tönt zwar etwas pathetisch, aber es ist so. Dass ich
das Privileg habe, solange für mich alleine diesen wunderbaren Weg zu
gehen, ist nicht selbstverständlich. Dafür bin ich meiner Frau Zita
sehr dankbar. Sie putzt während ich diese Zeilen schreibe, in unserem
Ferienhaus Schibestei die Fensterscheiben. In jeder der vielen
Herbergen, in denen ich übernachte, denke ich an unsere Herberge in
Rapperswil. Dass unsere Herberge so gut läuft und sich dafür so viele
Menschen engagieren, macht mich sehr dankbar. Dass mein linkes Bein
wieder fast störungsfrei funktioniert, macht mich erst recht dankbar.
Ich könnte noch weitere guten Gründe für meine Dankbarkeit
aufzählen. Fest steht für mich, dass dankbare Menschen glücklicher
sind. Auch dafür ist der Camino wahrscheinlich ein guter Lehrmeister.

Dienstag, 5. Oktober 2010

27. Maubourguet - Anoye

Zwar rede ich normalerweise nicht gerne übers Wetter, aber nach dem
Regentag von gestern war es fast wie ein Wunder, dass heute sich der
Himmel von seiner schönsten Seite gezeigt hat. Bis zum Mittag waren
auch die Schuhe wieder richtig trocken. So schnell kann eine für den
Pilger einschneidende Veränderung erfolgen. Das macht das Pilgern so
spannend. Die guten und die schlechten Tage, die mühseligen und
glücklichen Momente gibt's auch im Alltag, aber bei den Pilgern
erfolgen die Wechsel in viel kürzeren Intervallen. Das führt
wahrscheinlich zu dieser dichteren Intensität des Erlebens, von der so
viele Pilger berichten. Ich kann dies unterschreiben (Ich habe es ja
auch geschrieben).

Montag, 4. Oktober 2010

26. Marciac - Maubourguet

Der Camino ist nicht immer ein Spaziergang, er kann auch grausam hart
werden. Noch gestern schwärmte ich vom schönen Wetter. Heute änderte
es sich. Es hat den ganzen Tag fest geregnet. Das ginge ja noch, aber
wenn zusätzlich noch der Wind mit aller Kraft von vorne bläst, dann
wird es sehr mühsam. Ich bin über drei Stunden gelaufen, bis ich den
ersten geschützten Ort für eine Zwischenverpflegung fand. Allein
schon die nasse Pelerine ab- und dann wieder anziehen, kostet
Überwindung. Längere Pausen machen, konnte ich nicht, weil ich bald
zu frieren begann. Jetzt sitze ich alleine in einem kleinen
ungeheizten Chalet auf dem Campingplatz und überlege mir, was ich
unternehmen könnte, damit meine Schuhe bis morgen trocknen werden.
"Mit Zeitungen ausstopfen", kommt mir plötzlich in den Sinn. Gesagt,
getan. Zeitungen lassen sich ja leicht auftreiben. Ob's nützt, sehe
ich morgen.
Wenn ich den heutigen Tag so dramatisch geschildert habe, dann zeigt
dies, dass ich mich noch nicht an schlechtes Wetter gewöhnt habe.
Draussen regnet es munter weiter. Vielleicht gewöhne ich mich morgen
daran und sonst erinnere ich mich einmal mehr an die Worte der
Heiligen Theresa von Avila: Nada te turbe, todo se pasa (Nichts soll
dich verwirren, alles vergeht).

Sonntag, 3. Oktober 2010

25. Montesquiou - Marciac

Wenn das Wetter etwas sichtig ist, sehe ich seit Tagen die Pyrenäen
vor mir. Sie werden allmählich grösser. Ich bin noch 7-8 Tagesetappen
von Spanien entfernt, habe schon über 1000 km zurückgelegt und
befinde mich im Gers. Das ist jenes Gebiet, wo zigtausende von Enten
mit einem Trichter vollgestopft werden und dann das berühmte Foie gras
hergestellt wird. Hier kommen sich die beiden Wege von Le Puy und von
Arles ziemlich nahe.
Und: Ich fühle mich immer noch pudelwohl. Dazu trägt auch das Wetter
bei. Nur an zwei von ca. 50 Tagen hat es bis jetzt geregnet.

Samstag, 2. Oktober 2010

24. Auch - Montesqui

Nach den Erfahrungen von gestern bin ich heute wieder alleine eine
lange Etappe gepilgert. Wenn ich von langer Etappe spreche, dann meine
ich eine Etappe, die über 30 Kilometer lang ist. Heute will ich mein
Geheimnis preisgeben, wie ich lange Etappen meistere:
1. Ich starte bei Tagesbeginn. Das ist im Oktober um 7.30 Uhr. Ich
stelle mich innerlich darauf ein, dass ich mindestens zehn Stunden
unterwegs sein werde.
2. Je länger die Etappe ist, desto langsamer gehe ich sie an. Ich
nehme mir fest vor, dass ich unter keinen Umständen "uf de Schorre"
ankommen will.
3. Ich verlangsame sofort mein Tempo, wenn sich Ermüdungserscheinungen
zeigen oder mache eine längere Pause. Dies ist besonders nachmittags
ab ca. 15.00 Uhr wichtig.
4. Gegen Abend komme ich so in den Genuss, der untergehenden Sonne
entgegen zu gehen. Das ist für mich besonders reizvoll, kommt mir dann
doch immer wieder der Satz aus meiner Spirituellen Pilgerapotheke in
den Sinn: "Pilger! Was du suchst, trägst du in dir und jeder Schritt,
Santiago und dem Abend entgegen, ist ein weiterer Schritt in die Tiefe
deines eigenen Ichs".
Ja, so ist es. Ich gebe gerne zu, dass Selbstdisziplin und viel
Erfahrung nötig sind, um so zu pilgern zu können, aber es lohnt in
jeder Beziehung.

Freitag, 1. Oktober 2010

23. La Mothe - Auch

Gestern spät ist eine ältere, sehr erfahrene Pilgerin in die Gîte
gekommen. Ich dachte schon, ich sei ganz allein. Heute bin ich mit
dieser Frau nach Auch gelaufen. Warum bin ich heute Abend etwas
unzufrieden und müder als sonst? Wahrscheinlich habe ich wegen ihr
meinen Rhythmus verloren. Das ist weiterhin nicht schlimm, zeigt mir
aber, wie wichtig der eigene Rhythmus ist und wie wenig es braucht,
ihn durcheinander zu bringen. Wahrscheinlich ist es im Alltag ganz
ähnlich. Nur merken wir es weniger, weil es - mindestens bei mir -
fast keinen Alltag mehr gibt. Ein rhythmisches Leben (zum Beispiel mit
gleichbleibenden Ritualen) wäre gleichwohl wichtig, sofern uns das
seelische Gleichgewicht am Herzen liegt.